

Die Idee
„Wie ein Haus, in dem man wohnt“
Ein Gespräch mit dem Gründertrio des Remassuri: André Heller, Ursula Strauss und Ernst Molden über den Geist des Remassuri und den direkten Weg des Wienerlieds zur Seele.
Herr Heller, ist das Remassuri für Sie die Fortsetzung Ihrer frühen Arbeiten mit dem Wienerlied vor 50 Jahren?
André Heller: Es ist eigentlich ein kleines Sehnsuchtsprojekt von mir, einmal in einem spielerischen Umgang mit der Wienerischen Musik eine Art Revue zu machen, in der Junge und Alte, Ausländer und Inländer einen Schimmer davon bekommen, wie unterhaltsam, manchmal auch herzzerreißend, abseitig, inseitig und inspirierend dieses Wienerische Komponieren und Singen sein kann.
Ernst Molden: Eine meiner Jugenderinnerungen ist die an Flic Flac, das große Festwochen-Variété von dir, André, im Jahr 1981, das hat mich schon enorm beeindruckt, wie unverschmockt der Zugang zur Bühnenkunst sein kann. Was ich an André Heller so gut finde, ist, dass er etwas Einfaches und Berührendes nimmt und es durch die Wärme und das Ehrende in seinem Blick zu etwas Höherem erhebt. 44 Jahre nach Flic Flac einmal aus der Nähe erleben zu können, wie dieser Mensch arbeitet, beteiligt sein zu können an diesem Vorgang, eigentliche Volkskunst in den Olymp zu heben, das freut mich daran.
Die Frage, was Wienerisch und Volkskunst sein darf, ist ja ein brennendes politisches Themenfeld.
Heller: Das ist das Problem derer, die es zum Themenfeld gemacht haben. Für mich ist Wienerisch alles, was ich als Wienerisch empfinde. Der Josefsplatz, wenn’s schneit, bestimmte Filme mit Moser und Hörbiger, Maria Andergast, die Melancholien Oskar Werners, bestimmte Handbewegungen von Qualtinger, wie Buben und Mädeln Pfitschigogerl spielen … Meine Vorstellung des Wienerischen geht sicher weiter als die anderer.
Ursula Strauss: Und Volkskultur ist ja etwas Wunderbares, man muss nur aufpassen, dass sie nicht verstaubt. Sie ist wie ein Haus, in dem man wohnt. Aber wenn man die Augen davor verschließt, was rundherum passiert, dann wird das Haus zu einem Gefängnis. Es wird alt, und die Wände beginnen zu bröckeln. Das Remassuri ist so ein Ort, der dieses Haus pflegt, immer wieder renoviert und schaut: Wo kann man das Moderne mit dem Alten verbinden? Das gefällt mir so daran. Die urbane Volksmusik braucht einen Platz und muss ernst genommen werden. Denn sie kann ganz viel richten, weil sie einen Zugang hat zu unseren Seelen.
Es hat also eine Bedeutung, dass das Remassuri sich mitten im Zentrum der Stadt befindet?
Heller: Natürlich. Wenn man in anderen Städten der Welt fragt: „Wo finde ich hier am Abend einen Zugang zu lokalen Unterhaltungsformen von Qualität?“, dann heißt es: ‚Da ums Eck gibt’s ein Flamenco-Lokal.‘ Oder ‚Dort drüben gibt’s gute Chansons zu hören, vom Brél oder von der Piaf.‘ In Wien gibt’s das nicht. Da schicken sie dich immer zum Heurigen.
Molden: Wir werden ermöglichen, dass die unserer Ansicht nach beste Wienerische Folks/Roots-Band hier mit ihrem nach Anregungen vom André Heller und mir und Uschi erweiterten, unfassbaren Repertoire einen direkten, aber auch sehr verzauberten Weg in diese Musik eröffnet, die sich sonst nur schwer erschließt. Denn man gerät entweder in die kitschigen Ausläufer dieser öligen Heurigenduos oder in die Orthodoxie, die ihr tiefes Wissen gar nicht so richtig teilen will. Wir aber sind der Meinung, dass diese Musik wunderschön ist. Eine tief urbane verfeinerte Kunst, die sich ständig erneuert, seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Und das nach Jahrzehnten der Verbannung in Volksliedwerke und Heurigenvorstädte in die Innenstadt zurückzuholen, ist unsere Hauptmission.
Heller: Und dass alle paar Minuten eine andere Nuance erlebbar ist. Wir bieten ja nicht einen Abend, wo sich lückenlos eine Musiknummer an die nächste reiht, sondern vielleicht zwischendurch ein kurzer Film über Schattenspiele aus den 1930ern kommt, wo sich zu einem Impromptu vom Schubert Figuren bewegen. Oder wo Mummenschanz eine Liebesgeschichte zwischen einer Bratsche und einer Geige als Pantomime darstellen.
Ist es für eine authentisch Wienerische Institution auch wichtig, dass Sie eine „Zuagraaste“ (Zugewanderte, Anm.) unter sich haben?
Molden: Ja, die Uschi kommt halt aus der Wachau, die irgendwie auch sehr nahe liegt als Urraum des Wiener Kulturraums. Und sie ist so sozialisiert, dass sie als junges Mädel nach zwei Spritzern beim Heurigen besoffen auf den Tisch gestiegen ist und halt gesungen hat, weil’s ihr taugt.
Strauss: Haha, ja, ich hab immer schon gesungen. Meine Kindheit und Jugend war in Pöchlarn im Bezirk Melk. St. Pölten war für mich die große Stadt. Und dann sind meine Brüder zum Studieren nach Wien, und das war eine Offenbarung. Ich habe diese Stadt von Anfang an geliebt, auch ob ihrer Größe und Anonymität. Ich fand die Atmosphäre so wunderschön, auch wenn Wien vor dreißig Jahren noch eine viel grauere, konservativere Ausstrahlung hatte. Die Morbidität, von der André singt, „Wean, du bist a Taschenfeitl“, das hat man noch deutlicher gesehen. Die Stadt hat das auch nicht verloren, aber man muss heute erst ihr schönes Kleid aufblättern, um es zu finden.
Heller: Ich bin dankbar für die Chance, der ungewöhnlichen Qualität von Uschi und Ernst verbunden zu sein. Das Klischee, das Wien die Hauptstadt des Grants wäre, bedienen wir in keinster Weise. Wir haben eine Freude mit Remassuri, und wir wollen bei der Arbeit und unserer Freundschaft diese Freude zu unserer Grundhaltung machen.
Das Gespräch führte Robert Rotifer
Fotos: Remassuri (c) Stefan Liewehr
André Heller (c) Suzy Stöckl
Ernst Molden & Ursula Strauss (c) Daniela Matejschek